Auf den Reisen in Griechenland treffen wir auf die Tempel der hellenistischen Kultur, auf die Mythen längst vergangener Epochen, auf ein wie willkürlich ins Meer geworfenes Inselreich und auf lukullische Spezialitäten der griechischen Küche. Doch es gibt noch ein fünftes Element, welches so stark mit dem Land der Hellenen verbunden ist, dass es zurecht als griechisch bezeichnet werden kann: Der griechische Stuhl.
Der Vorgänger der uns bekannten Variante mit dem so typischen Sitz in Weboptik hieß Klismos. Der antike Stuhl mit seinen leicht gebogenen Stuhlbeinen und der geschwungenen Rückenlehne bot bereits Homer und seinen Gleichgesinnten Platz, um über die Welt und deren Zerlegung bis ins kleinste Detail nachzudenken. Auf vielen erhaltenen Vasen, Schmucktellern, Grabstelen und nicht zuletzt Reliefs jener Zeit vor Christi werden die Sitzenden sehr oft von der Seite dargestellt, wie sie grazil Lesungen halten, Gaben entgegennehmen oder gar als Thronfolger ihre Untertanen empfangen.
Die alten Griechen waren Meister in Schreiner- und Tischlerfertigkeiten und kannten bereits in der Antike viele Techniken, um Holz zu bearbeiten, die uns heute immer noch geläufig sind. Natürlich fällt uns in diesem Zusammenhang auch sofort das Bild der flinken, webenden Hände antiker Schönheiten ein, allen voran Penelope, die Wartende von Ithaka, die jede Nacht das Gewebte wieder aufribbelte, um nicht unglücklich verheiratet zu werden, während sie auf den Superhelden Odysseus wartete, der nach 10 Jahren Krieg vor den Toren Trojas nicht nach Hause fand.
Der gewebte Sitzteil der uns heute so bekannten griechischen Stühle ist zum Markenzeichen geworden. Zum Markenzeichen für Lebensfreude, die ihren Ausdruck in kaum zu übertreffenden, bunten Farbspielereien der einzelnen Stuhlobjekte findet. Sehr oft sind es Pastelltöne von Gelb, über Rosa nach Grün und Blau, mit denen man jeden Sommer den Stühlen Griechenlands einen neuen Anstrich für die Saison am Meer verpasst. Der griechische Stuhl strahlt neben Lebensfreude aber auch etwas typisch Griechisches aus: Gastfreundschaft.
Nie sind es zu wenig Stühle, wenn Fremde, die zu Freunden werden, unangemeldet an den Tisch voller Mezedes und anderer Köstlichkeiten kommen. Irgendwo steht immer ein Stuhl für unerwartete Gäste. Man rückt zusammen, schiebt die Stühle etwas dichter nebeneinander und isst gemeinsam, während man über Gott und die Welt debattiert. Im Land der Säulen is(s)t man nie allein. Das führt dazu, dass fremde Arme auf der eigenen Rückenlehne weilen oder fremde Füße in staubigen Schuhen auf der Sprosse des eigenen Stuhles hin- und herwippen.
Der Stuhl wird zum Mittelpunkt des täglichen Lebens, nicht nur zu den Mahlzeiten, sondern auch bei einem weiteren wichtigen Element der lebensfrohen Griechen: der Musik. Wer kennt sie nicht, die Rembetiko-Abende, bei denen auf einer kleinen Bühne ein halboffener Stuhlkreis den Musikern die richtige Atmosphäre bietet, während die Sängerin mit ihrem lasziven Blick und den übereinander geschlagenen Beinen in der Mitte eingerahmt ihre Stimme anhebt, um über unerfüllte Liebe zu singen, verlassene Heimat und den Wunsch, dem Glück zu begegnen. Ab und zu kann man sie dabei beobachten, wie sie ein Bein auf dem Querstreb abstützt. Zu später Stunde, wenn die Einsamen und die Suchenden vom Tsiporo leicht angestachelt die Bühne betreten und sich ihren Zeimbekiko bestellen, kann man sie mit etwas Glück in den verrauchten Spelunken erhaschen, die Tanzakrobaten. Jene, die sich mit einfachen Tanzschritten nicht zufrieden geben. Sie hieven den Stuhl grazil in die Höhe und tänzeln, leicht schwankend, mit einem Stuhlbein auf dem Kinn über die Tanzfläche. Diese kühnen Meister beherrschen ihren Körper und gleiten so lange im Rhythmus der Nacht über die Bühne, bis ihnen der Schweiß in die Augen läuft.
Bei Tageslicht, wenn die Sonne ihren Zenit im Sommer erreicht und Einheimische lieber ins Haus fliehen, als sich den grellen Sonnenstrahlen auszusetzen, sind die Stühle verlassen an den getünchten Häusermauern. Hier und da sieht man Katzen, die sich unter dem griechischen Stuhl vor der Sonne schützen oder zurückgelassenes Häkelzeug auf dem Stuhlsitz. Wenn die Sonne allabendlich untergeht, krauchen sie wieder hervor aus dem schattigen Inneren ihrer kleinen Häuser, die in schwarz gekleideten Alten der Dörfer, um draußen zu sitzen auf ihren Stühlen und dem Dorftratsch zu frönen.
Der Mittelpunkt der männlichen älteren Herrschaften der Dörfer ist das Kafenion, früher Bastion der Männer, heute mit gemischtem Publikum. Hier stehen sie zu Hauf, die griechischen Stühle, manche schon etwas in Mitleidenschaft geraten, manche leicht lädiert. Findet man auf den paradiesischen Inseln wie Santorini oder Kephalonia Exemplare in allen Pastelfarben, bevorzugt man in den Dörfern eher das schlichte Braun. Den Fuß abstellend auf der Stuhlstrebe des Tischnachbarn zur Linken und die Hand auf der Lehne des Nachbarn zur Rechten, genießt der Grieche das Debattieren, die Politik, auch wenn er wenig zum Weltgeschehen beitragen kann und freut sich am Ende auf eine gute Partie Tavli (Backgammon).